Estradivari hier mit Sebastian Ferse am ZMT. Foto: Jens Lehmkühler

26.07.2022 | ZMT-Wissenschaftlerin Estradivari aus Indonesien ist eine der Autor:innen der kürzlich erschienenen Veröffentlichung "The good, the bad, and the ugly: reflections on co-designing science for impact between the Global South and Global North". Es handelt sich dabei um den ersten Beitrag, der in der Reihe "Stories from the Front Lines" des ICES Journal of Marine Science über die kollaborative Gestaltung bzw. dem Co-Design von meereswissenschaftlichen Projekten, die auf eine nachhaltige Entwicklung zielen, veröffentlicht wurde. Die Reihe ist eine gemeinsame Initiative des ICES-Journals, des Ocean KAN (Knowledge-Action Network), von SmartNet und der UN-Dekade der Meeresforschung für nachhaltige Entwicklung.

Was war die Ausgangsfrage der Studie?

Estradivari: Wir, vier Forscher:innen mit umfassender Erfahrung in der internationalen wissenschaftlichen Zusammenarbeit zur Unterstützung des Meeresschutzes (zwei aus dem globalen Süden und zwei aus dem globalen Norden), untersuchten die Vorteile und Herausforderungen bei der Umsetzung von gemeinsam gestalteter Forschung. Es werden Überlegungen und Beispiele - die guten, die schlechten und die wirklich schlimmen - dargestellt, wie Co-Design von Wissenschaft umgesetzt wird und wie sie gelingen oder scheitern kann. Gemeint ist damit die gemeinschaftliche Konzeptualisierung und Durchführung von Forschung durch verschiedene wissenschaftliche und nicht-wissenschaftliche Partner. Darüber hinaus berichten wir über bewährte Praktiken, die uns bei der Verbesserung unserer Zusammenarbeit geholfen haben.

Was genau wurde untersucht?

Estradivari: Wir stellen Erfahrungen aus erster Hand vor und konzentrieren uns dabei auf fünf Themenbereiche: Finanzierung und damit verbundene Dynamiken, Unterschiede in der Forschungskultur und -ausbildung, unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse, Normen für die Autorenschaft und das Gleichgewicht der Einbeziehung in die Forschung.

Was sind die neuen Erkenntnisse?

Estradivari: Unsere Erfahrungen zeigen, dass die gemeinsam gestaltete Forschung Vorteile für die Praxis haben kann. Wir haben zahlreiche Beispiele dafür dokumentiert, wie sie zu Veränderungen in Politik und Praxis führen kann. Andererseits haben wir auch gezeigt, dass die Umsetzung des Co-Designs in der Forschung oft schwierig und zeitaufwändig ist, und dass selbst bei guten Absichten einiges schief gehen kann. Unabhängig davon sind wir der Meinung, dass Co-Design gefördert werden sollte, um eine kollaborative, integrative und effektive Forschung voranzutreiben. Wir müssen unsere Denkweisen und Praktiken verbessern, um einen effektiven Prozess der kollaborativen Gestaltung zu fördern.

Welches sind Beispiele für ein erfolgreiches Co-Design in der Forschung?

Estradivari: Einer der wichtigsten Erfolge der gemeinsam gestalteten Forschung besteht darin, die unterschiedlichen Interessen und Bedürfnisse von Forschenden, politischen Entscheidungsträger:innen und Praktiker:innen in Einklang zu bringen. In einem Fall geben wir ein Beispiel für die Gestaltung von Meeresschutz, der der Fischerei in Indonesien zugutekommt. Dieses Thema hatte für die Regierung und die Forscher des Landes hohe Priorität, doch gab es bisher nur wenige Forschungsarbeiten, die die Umsetzung unterstützen. Diese Forschungslücke deckte sich mit den Interessen von Forschenden aus dem globalen Norden, die mit Forschenden aus dem globalen Süden innerhalb von NGOs zusammenarbeiteten, um gut finanzierte Forschung als Grundlage für die Gestaltung des Naturschutzes im Land zu betreiben. Dies führte zu einer Reihe wissenschaftlicher und nicht-wissenschaftlicher Produkte.

Die gemeinsam entwickelte Forschung kann auch dann erfolgreich sein, wenn unterschiedliche Forschungskulturen und Ausbildungen aufeinander abgestimmt werden. Die Western Indian Ocean Marine Science Association (WIOMSA) zum Beispiel fördert eine Kultur der gemeinsam gestalteten Forschung und des Kapazitätsaufbaus. Forschende aus dem globalen Süden bringen häufig Forschungserfahrungen mit, die mit den lokalen Bedürfnissen, Kulturen und Gepflogenheiten vertraut sind, während Forschende aus dem globalen Norden oft Zugang zu formaler westlicher wissenschaftlicher Ausbildung und Instrumenten haben, die ihnen helfen, wirkungsvolle Forschung zu betreiben.

...und Beispiele für misslungene Co-Designs?

Estradivari: Wir haben auch die Erfahrung gemacht, dass gemeinsam gestaltete Wissenschaft schief gehen oder scheitern kann, was zu Konflikten, unethischem Verhalten, Misstrauen und minderwertiger Wissenschaft führt. Wir haben zum Beispiel erlebt, dass Forschende aus dem globalen Norden solche aus dem globalen Süden benutzt haben, um an Forschungsgenehmigungen für die Durchführung von Feldforschung zu gelangen, und dass sie dann die in den Ländern des globalen Südens gesammelten Daten für Veröffentlichungen verwendet haben, ohne die Forschenden im Land einzubeziehen.

Wir haben auch erlebt, wie Förderinstitutionen ihre Forschungsinteressen vorantreiben, ohne sie mit den Bedürfnissen der Länder des globalen Südens in Einklang zu bringen. In einem anderen Fall haben wir erlebt, dass die Beziehung zwischen den Kooperationspartner:innen Schaden nahm, weil die Forschung hinter den Erwartungen zurückblieb. Die gemeinsam konzipierte Wissenschaft erfordert viele Verhandlungen und Diskussionen, was zeit- und ressourcenaufwendig sein kann.

Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus den Ergebnissen ziehen? Wie kann Co-Design funktionieren?

Estradivari: Unsere Hauptaussage ist, dass die kollaborativ gestaltete Wissenschaft entscheidend für einen echten Wandel in Politik und Praxis ist. Wir ermutigen die Forschenden, Co-Design wann immer möglich zu fördern und umzusetzen. Es ist jedoch wichtig darauf hinzuweisen, dass die Umsetzung schwierig, zeitaufwändig und ressourcenintensiv sein kann. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, die Schlüsselaspekte zu verstehen, die ein erfolgreiches Co-Design unterstützen können, und zu wissen, wann von einem Co-Design abzusehen ist.

Für ein effektiveres Co-Design müssen wir unsere Denkweise und unsere Praktiken verbessern, insbesondere in den folgenden drei Schlüsselbereichen: (1) Priorisierung flexibler Finanzierungsmöglichkeiten, um einen gut moderierten gemeinsamen Gestaltungsprozess zu ermöglichen, (2) bewusste Auswahl der Personen, mit denen wir gemeinsam gestalten, und der Art und Weise, wie wir gestalten, und (3) Förderung des Forschungsbedarfs als integrativerer Prozess, der nicht nur denjenigen vorbehalten sein sollte, die über bestimmte Fähigkeiten oder Ausbildungen verfügen.

Warum sind die Ergebnisse für die Wissenschaft relevant?

Estradivari: Wir brauchen gemeinsame Maßnahmen zur Lösung komplexer ökologischer und gesellschaftlicher Probleme in dieser sich schnell verändernden Welt, um die Welt lebenswerter zu machen. Die UN-Dekade der Meeresforschung für nachhaltige Entwicklung fördert konsequent die kollaborativ gestaltete Wissenschaft als eine der Strategien zur Unterstützung von transformativen Maßnahmen im Bereich der Ozeane. Obwohl die Begeisterung für die Teilnahme an diesem gesellschaftlichen Projekt weit verbreitet ist, sind viele Menschen nicht mit Co-Design in der Forschung vertraut, und diejenigen, die es bereits umgesetzt haben, teilen ihre Erfolge oder Misserfolge nicht mit anderen. Unsere Erfahrungen aus erster Hand können nützlich sein, um die Prozesse der gemeinsam gestalteten Wissenschaft zu verbessern und denjenigen, die sie umsetzen wollen, eine Anleitung zu geben.

Publikation

Mahajan, SL, Estradivari, Ojwang L, Ahmadia GN. 2022. The good, the bad, and the ugly: reflections on co-designing science for impact between the Global South and Global North. ICES Journal of Marine Science, 0: 1-4. DOI: 10.1093/icesjms/fsac115