ZMT stärkt Forschungskapazität mit neuer Institutserweiterung 'TropEcS'

Die Modellierung ist ein zentraler Bestandteil des Forschungsprozesses in vielen sozial- und naturwissenschaftlichen Disziplinen. Wissenschaftliche Modelle sind der Grundstein für Vorhersagen in der Erdsystemforschung, sowie in der Klimawissenschaft und anderen globalen Umweltveränderungen.

Am ZMT nutzen Forschende in allen Programmbereichen des Instituts verschiedene Modellierungstechniken und unterschiedliche Modelle, um Ergebnisse vorherzusagen oder um die komplexe Welt auf systematische Weise darzustellen und zu verstehen.

Eine kürzlich bewilligte strategische Institutserweiterung mit dem Titel "Modelling socio-economic dimensions across Tropical Coastal Ecosystems and the Earth System – TropEcS" stellt jetzt sicher, dass am ZMT die Erdsystemmodellierung verschiedener Regionen gestärkt wird. Im Zuge dieser Maßnahme werden die vorhandenen Kapazitäten weiterentwickelt und eine Zusammenarbeit in bisher noch nicht dagewesenem Umfang ermöglicht.

Mit dieser strategischen Institutserweiterung – in der Haushaltsordnung der Leibniz-Gemeinschaft "Sondertatbestand (STB)" genannt – positioniert sich das ZMT noch direkter als Schlüsselakteur in der Modellierung des tropischen Küstenklimas, der Auswirkungen des Klimawandels auf die menschliche Bevölkerung an tropischen Küsten und der Entwicklung von Reaktionsstrategien.

„TropEcS stellt einen großen Durchbruch für das ZMT dar, die Wechselwirkung zwischen physikalischen, biogeochemischen und sozialwissenschaftlichen Forschungsfragen numerisch und konzeptionell zu modellieren", sagt Prof. Dr. Raimund Bleischwitz, wissenschaftlicher Geschäftsführer des ZMT.

„Unser Ziel ist es, durch Systemverständnis, neue Feldstudienkampagnen zu initiieren, die im Zentrum der bestehenden Kompetenzen des ZMT stehen, und diese mit neu entstehenden Modellen zu verknüpfen“, ergänzt Prof. Dr. Jan Härter, Leiter der Arbeitsgruppe Komplexität und Klima am ZMT und federführend im Antragsprozess.

Mit TropEcs erhält das ZMT auch finanzielle Mittel, um neue Stellen auf verschiedenen Karrierestufen im Bereich der Modellierung zu schaffen, darunter eine neue Professorenstelle in Zusammenarbeit mit der Universität Bremen. Diese Stellen werden zu gegebener Zeit auf der Website ausgeschrieben. „Mit dem neuen Institutsausbau können wir die besten Köpfe gewinnen, um das ZMT in den kommenden Jahren in diesem faszinierenden Forschungsfeld zu positionieren", sagt Raimund Bleischwitz.

Der Antrag für TropEcS wurde von Professor Jan Härter (Leiter der Arbeitsgruppe Komplexität und Klima am ZMT) in enger Zusammenarbeit mit Dr. Christiane Schmidt (Wissenschaftsmanagement) sowie dem wissenschaftlichen Direktor des ZMT, Professor Raimund Bleischwitz, und einem ganzen Team im Haus erstellt.

Der Bremer Senat hat den Sondertatbestand während des gesamten Antragsprozesses sehr stark unterstützt, wofür das ZMT ihm dankt.


TROPECS Grafik DEU

Abbildung 2: Konzeptschema moderner Erdsystemmodelle vs. „TropEcS" A: Küstenquerschnitt in einem typischen ESM mit grober horizontaler Auflösung (weißes Gitter). B: Vogelperspektive eines Küstengebiets für ein typisches ESM. C: TropEcS dynamische Gitterverfeinerung, hier beispielhaft zwei Gitterverfeinerungen. D: TropEcS-Ökosystemmodell Darstellung der Küstenzone durch höher aufgelöstes numerisches Gitter mit Ökosystemen, Tiden, Auftriebsprozessen, menschliche Aktivitäten und Extremwettereinflüssen.

Tieferes Verständnis der komplexen Veränderungsprozesse an tropischen Küsten erforderlich

Tropische Küsten und ihre Ökosysteme sind die artenreichsten und produktivsten Lebensräume der Erde. An der Schnittstelle zwischen Ozean, Land und Atmosphäre spiele ihre Ökosystemdienstleistungen eine wichtige Rolle für 40 % der Weltbevölkerung.

Ein tieferes Verständnis der komplexen Veränderungsprozesse an tropischen Küsten und in den dortigen Ökosystemen ist unerlässlich für Klimastrategien, eine robuste Vorbereitung auf extreme Wetterereignisse und Vorhersagen über mögliche Kipppunkte oder den Zusammenbruch von Ökosystemen. Auch sozioökonomische Veränderungen müssen hier berücksichtigt werden. Ziel von TropEcS ist es, die Dynamik sozioökonomischer Systeme in Einklang mit der Meeres-, Umwelt- und Klimaforschung für tropische Küsten zu entwickeln.

Im Rahmen von TropEcS ermöglicht ein neuer innovativer Modellierungsansatz verbesserte Vorhersagen, die zum Ausbau internationaler Partnerschaften genutzt werden können.

„Mit seinem Sitz in Bremen, dem Spitzenstandort der Meeresforschung in Deutschland, ist das ZMT für diese Aufgabe prädestiniert, auch durch den bereits umgesetzten STB ‚Digitales ZMT (DigiZ)‘, der die Datenwissenschaft und -analyse stärkt“, erklärt Bleischwitz.

Er ist überzeugt, dass die neue Institutserweiterung eine Vorreiterrolle bei den interdisziplinären Ambitionen der Leibniz-Gemeinschaft einnehmen und der Forderung nach einem weltweiten Vorhersagesystem im Rahmen der "Zukunftsstrategie der Bundesregierung" nachkommen kann. „Für die Umsetzung von TropEcS suchen wir einen Modellierungsansatz, der Daten aus der Feldforschung vor Ort, Downscaling von Erdsystemmodellen, strategische Möglichkeiten für Küstengemeinden und eine mögliche Verknüpfung eines Kernmodells mit komplementären Ansätzen verbindet", so Bleischwitz.


Die neue strategische Institutserweiterung TropEcS im Detail - Konzeptionelle und wissenschaftliche Fortschritte

Die einheitliche Küstenmodellierung soll es den Forschenden des ZMT ermöglichen, Probleme konzeptionell neuer Charakteristika zu erforschen. Hier werden drei dieser zentralen Punkte mit wissenschaftlichen Beispielen hervorgehoben:

(I) Kopplungsskalen: Der vorgeschlagene Ansatz wird Grenzen überwinden und eine konsistente Kopplung von Skalen ermöglichen, z.B. zwischen lokalen Ästuarprozessen und globalen Veränderungen durch Verfeinerung lokaler Raster und die explizite Modellierung lokaler Wechselwirkungen. Zu den relevanten Prozessen gehören: die Ausbreitung von Plankton über kurze und weite Entfernungen, z.B. zwischen Meeresschutzgebieten, was die Planung von „Marine Protected Areas“ (MPAs) erleichtert; lokale Quellen und Aggregationspunkte der Plastikverschmutzung, ihre Ausbreitung über die Weltmeere und Maßnahmen zur Verringerung ihrer Ansammlung; die Ausbreitung von Krankheiten und potenzielle Verbundwirkungen in Zusammenhang mit Überflutungen der Küsten. Methodisch wird dies durch eine Kombination von Feldmessdaten Messdaten aus dem Feld und Meeres- und Fernerkundungsdaten geschehen. „Digitale Zwillinge" und moderne hochauflösende räumlich-zeitliche Beobachtungen, z. B. aus passiven und aktiven Satellitendaten oder Radarbeobachtungen mit hyperspektraler Bildgebung für küstennahe Riffsysteme, können einen Kontext in großem Maßstab liefern und so die Kopplung von Skalen ermöglichen. Die Bemühungen können in Messmethoden für “Ocean Accounting“ und Metriken für die „Ocean Progress Data“ einfließen.

(II) Erforschung von Kippeffekten: Kippeffekte können auftreten, wenn nichtlineare Rückkopplungen zwischen verschiedenen Teilkomponenten vorhanden sind und zu unumkehrbaren Übergängen führen. Korallenriffe, die El Niño Southern Oscillation (ENSO) oder die Verschiebung des afrikanischen und indischen Monsuns wurden als mögliche Kippelemente identifiziert. Andere ökologische Kipppunkte könnten mit anthropogenen Nährstoff- und Materialeinträgen in die Küstengewässer zusammenhängen, die zur Bildung von Sauerstoffminimumzonen führen. Unser Ansatz ermöglicht, auch soziale Kipppunkte in den Blick zu nehmen (die sich z.B. auf soziale Störungen beziehen und Erkenntnisse für die Forschung zu menschlichem Wohlergehen und sozialer Gerechtigkeit zu liefern. Im Tourismus gibt es beispielsweise soziale Kipp-Punkte (auf regionaler Ebene). Kipppunkte könnten jedoch auch das Ergebnis bestimmter Modellannahmen sein und räumlichen Annahmen unterliegen. TropECS würde feiner skalierte und räumlich explizite Modelle bereitstellen, um die Dynamik von Kipppunkten zu spezifizieren und bei der Formulierung von Reaktionen zu helfen.

(III) Verbundene Ereignisse: Hierbei handelt es sich um Gefahren, die sich aus dem Zusammentreffen mehrerer Einzelereignisse ergeben, von denen angenommen wird, dass sie unabhängig voneinander sind. Wenn die Ursprünge der beitragenden Ereignisse miteinander verbunden sind, steigt die Wahrscheinlichkeit des gemeinsamen Auftretens. Von großer Bedeutung für das menschliche Wohlergehen und die soziale Gerechtigkeit ist etwa die Notwendigkeit für Fischer in Peru, selbst unter den riskanten Bedingungen in El-Niño-Jahren auf Fischfang zu gehen. TropECS wird eingesetzt, um das Verständnis solchkomplexen Mechanismen zu verbessern und auftretende Phänomene zu beschreiben, die sich aus den nichtlinearen Wechselwirkungen zwischen den Komponenten und ihrer Rückverfolgbarkeit ergeben. Auf diese Weise könnten verheerende Auswirkungen und Nexus-Reaktionen, die über die üblichen Anpassungsmaßnahmen hinausgehen, realistischer modelliert werden.

(IV) Ökosystemleistungen und „Policies“ zur Biodiversität: Die künftige Rolle von Ökosystemleistungen umfasst den Küstenschutz und die Speicherung von blauem Kohlenstoff sowie das entsprechende Potenzial für den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel, d. h. den "blauen Kohlenstoffreichtum der Nationen". Die sich abzeichnende Kontroverse über den Umfang der „blauen “Kohlenstoffvorräte und ihren Wert für den Klimaschutz erfordert ein besseres Verständnis der Wechselwirkungen und wechselseitigen Abhängigkeiten durch Modellierung dieser komplexen Prozesse. Die ZMT-Arbeitsgruppen für Mangrovenökologie und Korallenriff-Karbonatsedimentologie können Datensätze zu Lücken in der Bewertung von blauem Kohlenstoff erstellen, um die Karbonatflüsse in diesen Ökosystemen zu modellieren. Diese können direkt in feiner skalierte TropECS-Modelle einfließen. Eine gleichzeitige Analyse für „Policies“ ist erforderlich, um die Kompensationsbemühungen der Industrie und die internationalen Bilanzierungsbemühungen zu bewerten.