06.02.2024 | Forscherinnen und Forscher aus Deutschland, Italien und Saudi-Arabien haben kürzlich eine Woche in Bremen verbracht, um Sedimentbohrkerne aus dem Roten Meer zu öffnen und zu untersuchen. Die Geologen und Sedimentologen vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT), dem Institut für Meereswissenschaften (ISMAR-CNR) in Italien, der King Abdullah University of Science and Technology (KAUST) in Saudi-Arabien und der Universität Göttingen arbeiteten eng mit dem MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen zusammen und nutzten dessen Labore für ihre Arbeit.


Fotogalerie Beprobung von Sedimentkernen aus dem Roten Meer


Die Forschenden nennen ein solches Treffen „sampling party“, frei übersetzt „Beprobungs-Party“. Natürlich gibt es bei dieser Art der Feier keine Ballons oder Bier, aber die Atmosphäre bei einem solchen Anlass ähnelt durchaus der einer Party. Schließlich ist es das erste Mal, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen Blick in die Bohrkerne werfen, die sie im Rahmen der Forschungsreise M193 an Bord der FS Meteor geborgen haben.

Mehr als 84 Meter Schwerelotkerne wurden während der Meteor-Fahrt entnommen. Die Expedition führte die Forscherinnen und Forscher quer durch das Rote Meer, vom Hafen Limassol in Zypern bis ins saudische Dschiddaund wurde geleitet von Thomas Lüdmann von der Universität Hamburg.

Während der einmonatigen „Replenish“-Expedition („Red Sea Paleoenvironmental Evolution under Monsoon fluctuations in the Pleistocene to Holocene“) arbeiteten die Forscherinnen und Forscher mit dem Schwerelot des MARUM, um Sedimentkerne aus einer Tiefe von 450 bis 2.200 Metern zu heben. Zusätzlich wurde die Struktur des Meeresbodens mit seismischen Untersuchungen erfasst und das ferngesteuerte Fahrzeug ROV MARUM-SQUID eingesetzt, um Tiefwasserkorallen und die mesophotische Fauna zu untersuchen.

Start der On-Shore-Phase der Rote-Meer-Expedition M193

Jetzt startet mit der „Sampling Party“ der erste Teil der On-Shore-Phase der Expedition. Der sogenannte „Kernfluss“ (Core Flow) beginnt, indem jeder Sedimentkern in zwei Hälften geteilt wird (siehe Fotos mit ZMT-Doktorand Yannis Kappelmann). Die eine Hälfte des Kerns wird hochauflösend fotografiert, die Elementverteilung gescannt, die Sedimentschichten und sichtbaren Partikel beschrieben und dann für weitere Untersuchungen archiviert. Die andere Hälfte wird vom wissenschaftlichen Team für Laboranalysen beprobt.

„Wir öffnen alle Kerne und beschreiben die sedimentären Schichten und die Organismenreste und vulkanischen Partikel, aus denen sie bestehen, mit dem bloßen Auge mittels einer Lupe“, erklärt Hildegard Westphal, Leiterin der Arbeitsgruppe Geoökologie und Karbonatsedimentologie am ZMT und Professorin an der Universität Bremen. „Die Proben, die wir nehmen, werden dann in unseren Laboren untersucht, um die Artenvielfalt und die geochemischen Charakteristika zu bestimmen und die Klimageschichte und die ökologische Entwicklung zu rekonstruieren."

Es ist eine mühsame und oft schmutzige Arbeit, aber mit jedem geöffneten Kern wächst die Aufregung im Team. Welche Geheimnisse werden die Sedimente preisgeben? Für das ungeschulte Auge sehen die Bohrkerne meistens aus wie gepresster, gräulicher Schlamm, aber hin und wieder findet sich ein Exemplar mit knallorangen oder roten Schichten, die auch ein Laie zumindest farblich unterscheiden kann.

Für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jedoch enthalten die Bohrkerne eine Vielzahl von Informationen, die von Meerwassereigenschaften wie Salinität, Temperatur und chemischer Zusammensetzung bis zu Einblicken in die Verbindung mit dem Weltmeer über Meerenge von Bab al Mandab reichen. Durch die Analyse dieser Daten können die Forscherinnen und Forscher mehr erfahren über den Einfluss der glazial-interglazialen globalen Meeresspiegelschwankungen und den submarinen Vulkanismus auf das Rote Meer und sein marines Leben in den letzten paar hunderttausend Jahren.

Salzkrise im Roten Meer

„Wir wollen herausfinden, wie sich die Artenvielfalt im Roten Meer entwickelt hat, das mit rund 20 Millionen Jahre der jüngste Ozean der Erde ist", erklärt Hildegard Westphal. „Die ersten Korallen wanderten vor etwa 16-18 Millionen Jahren in das Rote Meer ein, gefolgt von einer langen Periode hohen Salzgehalts im Meerwasser, einer regelrechten Salzkrise, die das Leben im Roten Meer danach extrem beeinträchtigte. Erst in der Ära des Pleistozäns, insbesondere in den Zwischeneiszeiten, begannen die Korallen wieder zu florieren.

Die meiste Zeit seines Bestehens sei das Rote Meer von einem Anstieg des Salzgehalts betroffen gewesen, sagt die ZMT-Geologin. „Als der Meeresspiegel in den Zwischeneiszeiten höher und das Rote Meer durch die Meerenge von Bab al-Mandab mit dem Weltmeer verbunden war, blühte das Leben im Roten Meer. Aber als der Meeresspiegel niedriger und das Rote Meer vom Weltmeer abgeschnitten war, stieg der Salzgehalt und die Lebensbedingungen für die Organismen wurden sehr schwierig“, so Westphal. „Selbst heute hat das Rote Meer noch einen höheren Salzgehalt und höhere Temperaturen als die Weltmeere.“

Das Team um Westphal möchte nun wissen, wie genau die Vielfalt der Organismen während der einschränkenden Bedingungen aufgrund des hohen Salzgehalts im Roten Meer abnahm und sich bei niedrigem Salzgehalt wieder etablierte. Für die Forscherinnen und Forscher ist die „Beprobungs-Party“ am MARUM also erst der Anfang weiterer spannender Entdeckungen.