Ein kleiner tropischer Fisch mit braun-weißen Streifen, blauen Punkten im Gesicht und gelben Flossen schwimmt zwischen verzweigten Korallen. Die Korallen sind hellbraun und mit feinen Polypen bedeckt, während der dunkle Hintergrund die Farben des Fisches hervorhebt.
Braunband-Hamletbarsch (Hypoplectrus puella), Bocas del Toro Archipel, Panama | Foto: Floriane Coulmance, Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT)

Entstehung von Arten: Tropische Riffbarsche geben Forschenden Rätsel auf

In einer neuen Studie in der Fachzeitschrift Science Advances stellt ein internationales Forschungsteam unter Leitung des Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung (ZMT) klassische Vorstellungen darüber in Frage, wie neue Tierarten entstehen. Im Mittelpunkt der Arbeit stehen Hamletbarsche – farbenprächtige Rifffische aus der Karibik. An der Studie waren neben dem ZMT auch Forschende der Universität Oldenburg, des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturmuseums Frankfurt und des Smithsonian Tropical Research Institute (STRI) in Panama beteiligt. Wissenschaftler:innen aus Kolumbien, Mexiko, den USA und Großbritannien trugen ebenfalls zu der Veröffentlichung bei.

Schon Charles Darwin erkannte in seinem Werk Über die Entstehung der Arten aus dem Jahr 1859, dass sich durch den Prozess der natürlichen Selektion nicht nur neue Arten bilden können, sondern sich auch ein Netz gemeinsamer Abstammung ergibt. Spaltet sich eine Art in zwei neue auf, entwickeln diese im Laufe der Zeit Unterschiede, tragen jedoch weiterhin Merkmale ihrer Vorfahren in sich.

Auf diese Weise verzweigen sich die Abstammungslinien immer weiter, ähnlich wie Äste eines Baumes. So entstehen Gruppen von Organismen, die evolutionär näher miteinander verwandt sind als mit anderen Organismen. Diese Verwandtschaftsverhältnisse lassen sich in Form eines Stammbaums darstellen, der zeigt, wie Arten durch gemeinsame Vorfahren miteinander verbunden sind.

Heute werden vor allem genetische Unterschiede genutzt, um solche Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Organismen zu untersuchen und Stammbäume zu erstellen. Doch bei den 19 bekannten Arten der Hamletbarsche (Hypoplectrus spp.) zeigte sich etwas Unerwartetes: Trotz ihrer auffälligen Farbunterschiede und ihrer starken Präferenz, sich mit Angehörigen der eigenen Art zu paaren, lässt sich ihr Stammbaum genetisch kaum rekonstruieren.

„Die meisten Studien, die erklären, wie sich verschiedene Arten innerhalb einer Gruppe entwickeln, beginnen mit einem Stammbaum, der auf genetischen Unterschieden zwischen den Arten basiert“, so Oscar Puebla, Evolutionsforscher und Fischökologe am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) in Bremen. „Aber in diesem Fall gibt es unter allen 19 Hamlet-Arten nur eine einzige genetische Aufspaltung, die klar zwischen den Arten verläuft.“

„Wir haben die gesamten Genome von 335 Fischen sequenziert und stellten zu unserer Überraschung fest, dass kein einziges Gen es uns erlaubte, einen Stammbaum für diese Gruppe zu rekonstruieren“, ergänzt Martin Helmkampf, Senior Scientist am ZMT und einer der Hauptautoren der Publikation. „Die genetischen Unterschiede zwischen den Arten sind so gering, dass selbst Vergleiche des gesamten Genoms dazu nicht ausreichen. Das stellt die gängige Auffassung infrage, was Arten sind und wie sie entstehen.“

Neue Perspektiven auf Artbildung und Biodiversität


Auf Grundlage von Gendaten identifizierten die Wissenschaftler:innen nur ein einziges Gen, das offenbar mit den Artunterschieden zusammenhängt. Dieses Gen namens casz1 ist in den Zellen der Haut, der Augen und des Gehirns der Hamletbarsche aktiv und ist vermutlich beteiligt an der Bildung und Wahrnehmung von Farbmustern, die bei der Partnerwahl eine Rolle spielen.

Doch selbst dieses Gen erlaubte es den Forschenden nicht, einen Stammbaum der Gruppe zu rekonstruieren. „Wahrscheinlich liegt das daran, dass die Artunterschiede durch viele Gene gemeinsam und in verschiedenen Kombinationen beeinflusst werden und es somit in manchen Fällen unmöglich ist, einen Stammbaum zu rekonstruieren, der alle Arten voneinander unterscheidet“, erklärt die ehemalige ZMT-Forscherin und weitere Hauptautorin Floriane Coulmance.

Co-Autorin Iliana Bista vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt ergänzt: „Der einzigartige Fall der Hamletbarsche unterstreicht, wie wichtig es ist, umfangreiche und vollständige Genomdatensätze zu sammeln, um die Evolution von Organismen mit außergewöhnlichen Evolutionswegen vollständig zu charakterisieren. Ohne diese Daten wären wir nicht in der Lage, das Gesamtbild zu erkennen.“

Oscar Puebla fasst zusammen: „Die Ergebnisse der Studie stellen die Auffassung in Frage, dass Artbildung immer deutliche genetische Spuren hinterlässt und sich wie in einem Stammbaum durch einfache Aufspaltungsprozesse vollzieht. Stattdessen können sich neue Arten sehr schnell und durch Veränderungen in nur einer Handvoll wichtiger Gene herausbilden. Dies ist ein bemerkenswertes Zeugnis dafür, wie Evolution funktioniert und Artenvielfalt auf unserem Planeten entsteht.”


Publikation:

Helmkampf M, Coulmance F, Heckwolf MJ, Acero A, Balard A, Bista I, Dominguez O, Frandsen PB, Torres-Oliva M, Santaquieteria A, Tavera J, Victor BC, Robertson DR, Betancur-R R, McMillan WO, Puebla O. 2025. Radiation with reproductive isolation in the near absence of phylogenetic signal. Science Advances, 11, eadt0973, DOI: https://doi.org/10.1126/sciadv.adt0973.