Mangrove auf Java | Foto: Inga Nordhaus, ZMT

21.05.2021 | Ein Interview mit Dr. Tim Jennerjahn, Leiter der Arbeitsgruppe Ökologische Biogeochemie am ZMT, gibt Einblicke in seine neue Studie zu Kohlenstoffexport und „Blue Carbon“. "Blue Carbon" (Blauer Kohlenstoff), ist der Kohlenstoff, der von Küsten- und Meeresökosystemen gespeichert und über diese sogenannten Kohlenstoffsenken aus der Atmosphäre entfernt wird.

Was war die Ausgangsfrage der Studie?

Tim Jennerjahn: Die Frage war, wieso der Kohlenstoffexport aus "Blue Carbon"-Ökosystemen bislang nicht Bestandteil der "Blue Carbon"-Budgets ist.

Was genau wurde untersucht?

Tim Jennerjahn: Seit der Begriff "Blue Carbon" 2009 geprägt wurde, sind die Forschungsanstrengungen und –förderung zur Untersuchung und Quantifizierung natürlicher Kohlenstoffsenken sowie die Wahrnehmung dafür in Wissenschaft und Gesellschaft rasant gestiegen. Bislang werden als "Blue Carbon", also Kohlenstoffsenken im Meer, aber fast ausschließlich der Kohlenstoff in Biomasse und Sedimenten von Mangrovenwäldern, Salzmarschen und Seegraswiesen wahrgenommen. Dem stellen immer mehr Forscher entgegen, dass es weitere Kohlenstoffsenken in Meer und in Küstenbereichen gibt, die bislang nicht als solche wahrgenommen oder nicht untersucht wurden. Dazu gehören beispielsweise Kelpwälder.

Wir legen nun in unserer Publikation dar, dass auch die gelösten und partikulären Kohlenstoffexporte aus diesen "Blue Carbon"-Ökosystemen, die in den Ozean gelangen und dort gespeichert werden, erheblich zu den "Blue Carbon"-Reservoiren beitragen. Das heißt, dass die bisherigen globalen Budgets viel zu niedrig sind. Dazu greifen wir die berühmte "Outwelling-Hypothese“ von E. P. Odum aus den 60er-Jahren auf, die besagt, dass Kohlenstoff- und Nährstoffexport aus Küstenfeuchtgebieten erheblich zur Produktivität des Küstenpzeans beiträgt.

Welche neuen Erkenntnisse ergaben sich?

Tim Jennerjahn: Es gibt weit weniger Untersuchungen zu diesen Exporten als zu den anderen "Blue Carbon"-Senken, der Biomasse und den Sedimenten in Küstenfeuchtgebieten, deswegen kann man noch keine verlässlichen globalen Bilanzen aufstellen. Wir schätzen die Kohlenstofflüsse aber aus den bisherigen Studien ab und stellen fest, dass sie in derselben Größenordnung liegen oder sogar größer sein könnten als die Kohlenstoffreservoire in den anerkannten "Blue Carbon"-Ökosystemen.

Was kann man daraus für Schlüsse ziehen?

Tim Jennerjahn: Daraus kann man folgern, dass das Spektrum klimarelevanter natürlicher Kohlenstoffsenken bzw. Kohlenstoffspeicherprozesse im Kontext des "Blue Carbon" größer ist als bislang angenommen, und dass damit auch die Menge gespeicherten Kohlenstoffs deutlich größer ist als bislang vermutet. Es ist damit auch erforderlich, diese Senken und Prozesse intensiver zu untersuchen, um die entsprechenden Kohlenstoffflüsse zu quantifizieren. In diesem Zusammenhang formulieren wir am Ende die zehn wichtigsten Forschungsfragen für die nähere Zukunft.

Warum haben die Ergebnisse weitreichende Bedeutung?

Tim Jennerjahn: Weil es um klimarelevante natürliche Kohlenstoffsenken geht. Unsere Erkenntnisse, bedeuten, dass die Relevanz der bekannten "Blue Carbon"-Ökosysteme als natürliche Kohlenstoffsenken offensichtlich größer ist als bislang angenommen. Daraus ergibt sich ein weiteres starkes Argument für den Erhalt bzw. die Wiederherstellung dieser Ökosysteme, die zudem ja auch noch viele andere wichtige Ökosystemleistungen erbringen.

Publikation

Santos, I.R., D.J. Burdige, T.C. Jennerjahn, S. Bouillon, A. Cabral, O. Serrano, T. Wernberg, K. Filbee-Dexter, J. Guimond, J.J. Tamborski (2021). The renaissance of Odum’s outwelling hypothesis in 'Blue Carbon' science. Estuarine, Coastal and Shelf Science 255: 107361. https://doi.org/10.1016/j.ecss.2021.107361