Foto eines Forschungsschiffs im Ozean

05.09.2023 | Ein Blick zu­rück auf die Um­welt­ver­än­de­run­gen im Lau­fe der Erd­ge­schich­te kann uns viel über die Zu­kunft ver­ra­ten – ins­be­son­de­re, wenn es um glo­bal und ge­sell­schaftlich wich­ti­ge The­men wie den Mee­res­spie­gel, den Kli­ma­wan­del und die Ge­sund­heit des Ökosystems Korallenriff geht. Eine in­ter­na­tio­na­le For­schungs­ex­pe­di­ti­on im Rahmen des In­ter­na­tio­nal Oce­an Dis­co­very Pro­gram (IODP) hat sich zum Ziel gesetzt, die Kli­ma- und Riff­be­din­gun­gen der Ver­gan­gen­heit vor der Küs­te von Ha­wai’i (USA) auf­zu­zeich­nen. Die zweimonatige Expedition hat Ende Au­gust den Ha­fen von Ho­no­lu­lu ver­las­sen. Auch das ZMT ist mit Prof. Dr. Hildegard Westphal an den Forschungsarbeiten beteiligt.

Ko­ral­len­rif­fe re­agie­ren sehr emp­find­lich auf Veränderungen des Mee­res­spie­gels und an­de­rer Um­welt­be­din­gun­gen. Als Fos­si­li­en dokumentieren sie diese Einflüsse über viele Mil­lio­nen Jah­re der Erd­ge­schich­te. Im Laufe der vergangenen 500.000 Jah­re gab es Un­ter­bre­chun­gen in diesen fossilen Aufzeichnungen, wäh­rend das Kli­ma und damit der Meeresspiegel stark schwankten. Die IODP-Ex­pe­di­ti­on 389 „Ha­wai'i­an Drow­ned Reefs“ („Ver­sun­ke­ne ha­waii­ani­sche Rif­fe“) kon­zen­triert sich auf den Zeitraum, als diese ausgeprägten Schwankungen einsetzten, um den Unterschied zwischen kurzfristigen Wetterverschiebungen und Klimaveränderungen zu untersuchen.

Die wis­sen­schaft­li­che Fahrt­lei­tung liegt bei Prof. Dr. Chris­ti­na Ra­ve­lo (Oce­an Sci­en­ces De­part­ment, Uni­ver­si­ty of Ca­li­for­nia, San­ta Cruz, USA) und Prof. Dr. Jody Webs­ter (School of Geo­sci­en­ces, Uni­ver­si­ty of Syd­ney, Aus­tra­li­en).

Prof. Chris­ti­na Ra­ve­lo betont, dass die fos­si­len Rif­fe von Ha­wai’i Ge­schich­ten­er­zäh­ler der ver­gan­ge­nen Kli­ma- und Oze­an­ver­än­de­run­gen und der Re­ak­tio­nen des Riff­öko­sys­tems auf die­se Faktoren sind. „Wir möch­ten die­se Ge­schich­ten durch sorg­fäl­ti­ge Un­ter­su­chung der Fos­si­li­en, die wir zu ber­gen hof­fen, auf­de­cken und tei­len.“ Prof. Jody Webs­ter ergänzt: „Wir hof­fen, dass die in den fos­si­len Rif­fen auf­ge­zeich­ne­ten In­for­ma­tio­nen der Wissenschaft hel­fen wer­den, bes­se­re Vor­her­sa­gen über Ge­schwin­dig­keit und Aus­maß des Mee­res­spie­gel­an­stiegs zu tref­fen, wel­che Aus­wir­kun­gen die glo­ba­le Er­wär­mung und Ab­küh­lung auf kurz­fris­ti­ge Kli­ma­phä­no­me­ne wie Dür­ren, Über­schwem­mun­gen und ma­ri­ne Hit­ze­wel­len hat, und wie Ko­ral­len­riff-Öko­sys­te­me auf die­se Ver­än­de­run­gen re­agie­ren.“

Prof. Dr. Hildegard Westphal, Leiterin der Arbeitsgruppe Geoökologie und Karbonatsedimentologie am Leibniz-Zen­trum für Ma­ri­ne Tropenforschung (ZMT) und Professorin an der Universität Bremen, nimmt an der Onshore-Phase der Expedition teil. Dabei wird sie zusammen mit dem internationalen Team die Bohrkerne im Kernlager am MARUM – Zen­trum für Ma­ri­ne Um­welt­wis­sen­schaf­ten der Uni­ver­si­tät Bremen untersuchen und für weitere Untersuchungen beproben.
Sie bekräftigt: „Diese lang erwartete Forschungsexpedition wird uns die Gelegenheit geben, Klimadynamiken und die Reaktion von Korallenriff-Ökosystemen besser zu verstehen – es geht dabei auch um deren Resilienz gegenüber veränderten Temperatur-, Nährstoff- und Lichtbedingungen. Korallenriffe waren in den letzten 500.000 Jahren mit extremen Umweltveränderungen konfrontiert. Wie kamen sie damit klar?“

Dr. Tho­mas Fe­lis, Lei­ter der Ar­beits­grup­pe Ko­ral­len-Pa­läo­kli­ma­to­lo­gie am MARUM , ist Mit­glied des Ex­pe­di­ti­ons­teams. „Nach frü­he­ren Ko­ral­len­riff-Bohr­ex­pe­di­tio­nen zum Gre­at Bar­ri­er Reef und nach Ta­hi­ti, an de­nen ich be­tei­ligt war, bie­tet sich nun in Ha­wai'i die ein­ma­li­ge Ge­le­gen­heit, noch viel wei­ter in die Ver­gan­gen­heit zu­rück­zu­ge­hen, hof­fent­lich bis zu ei­ner hal­ben Mil­li­on Jah­re", sagt Tho­mas Fe­lis, der auch das DFG-Schwer­punkt­pro­gramm "Tro­pi­sche Kli­ma­va­ria­bi­li­tät & Ko­ral­len­rif­fe" (SPP 2299) koordiniert.

Map of the proposed sites for IODP Expedition 389

Die Karte zeigt geplante Orte der Bohrkernentnahme vor der Küste Hawai'is | Copyright: ECORD

Tauchroboter entnehmen Bohrkerne

Während der nun angelaufenen Forschungsex­pe­di­ti­on sollen Tauchroboter Bohr­ker­ne an zwan­zig Stel­len aus Was­ser­tie­fen zwi­schen 134 und 1.155 Me­tern zu ber­gen. In die­sem Ge­biet wird erstmals ein Bohr­ge­rät auf dem Ozeanboden ein­ge­setzt, der bereits detailliert voruntersucht wurde. „Wir ha­ben eine sehr gute Vor­stel­lung da­von, wie der Mee­res­bo­den vor der Küs­te von Ha­wai’i aus­sieht. In den letz­ten vier Jahr­zehn­ten wurden mit Tauch­boo­ten, fern­ge­steu­er­ten Tauch­ro­bo­tern und Un­ter­was­ser­so­na­ren um­fang­rei­che Kar­tie­run­gen erstellt so­wie Film­ma­te­ri­al und Ober­flä­chen­pro­ben ge­sam­melt“, sagt Jody Webs­ter. „Die­se In­for­ma­tio­nen halfen uns, die bes­ten Stellen für die sorg­fäl­ti­ge Ge­win­nung der Ker­ne aus­zu­wäh­len, die un­ser Ver­ständ­nis der Ge­schich­te des Riff­sys­tems er­heb­lich ver­tie­fen wer­den“, fügt Chris­ti­na Ra­ve­lo hin­zu.

Im Fokus der Expedition stehen vier zentrale Themen:

  • die Amplitude und Auswirkungen der Meeresspiegelveränderung in der letzten halben Million Jahre
  • die Frage, warum sich Meeresspiegel und Klima im Laufe der Zeit ändern
  • die Reaktion von Korallenriffen auf abrupte Meeresspiegel- und Klimaveränderungen
  • eine genaue Bestimmung des Riff-Wachstums im Hawai’i-Archipel

Universität Hawai‘i als Partnerinstitution

Die Uni­ver­si­tät von Ha­wai’i mit ihrer lan­gjährigen Expertise in der Erforschung von Ko­ral­len­rif­fen, Küs­ten­phä­no­me­ne und Küs­ten­geo­lo­gie ist eine Part­ner­in­sti­tu­ti­on der Ex­pe­di­ti­on. Ha­wai’ia­ni­sche Wis­sen­schaft­ler:innen ha­ben den An­stieg des Mee­res­spie­gels und dessen Aus­wir­kun­gen un­ter­sucht und betonen, wie wich­tig die­ses Wis­sen für eine Stra­te­gie zur Ein­däm­mung des Kli­ma­wan­dels und zur Stär­kung der Resi­li­enz in der Zu­kunft ist. Prof. Ken­na Ru­bin, an­or­ga­ni­sche Geo­che­mi­ke­rin (De­part­ment of Earth Sci­en­ces, Uni­ver­si­ty of Ha­wai'i at Ma­noa) hat die Ex­pe­di­ti­on mitgeplant und nimmt teil.

Prof. Ken­na Ru­bin: „Die de­tail­lier­ten, hoch­auf­lö­sen­den zeit­li­chen und zu­sam­men­ge­setz­ten Ab­fol­gen, die wir von die­ser Ex­pe­di­ti­on er­war­ten, wer­den un­ser Wis­sen über die Re­ak­tio­nen auf den Kli­ma­wan­del und die Abkühlung und das Absinken der Vulkaninsel Hawai‘i, auch bekannt als ‚Big Is­land‘, bes­ser zu ver­ste­hen. Die Erkenntnisse werden zum Verständnis von Mee­res­spie­gel­ver­än­de­run­gen bei­tra­gen, wie sie hier von Ko­ral­len­rif­fen auf­ge­zeich­net wer­den.“

Über die ECORD-Expedtion

An der Expedition nehmen insgesamt 29 Forschende aus Australien, Österreich, China, Dänemark, Frankreich, Deutschland, Indien, Japan, den Niederlanden, Großbritannien und den USA teil. Zehn von ihnen sind an Bord des Bohrschiffes MMA VALOUR, die am 31. August den Hafen von Honolulu verlassen hat. Die Offshore-Phase der Expedition wird am 31. Oktober enden. Für die Onshore-Phase im Februar 2024 treffen sich alle Mitglieder des Wissenschaftsteams im IODP Bremen Core Repository am MARUM - Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen (Deutschland), um die Bohrkerne zu beschreiben, zu analysieren und für weitere Untersuchungen zu beproben.

Die Bohrkerne werden nach der Beprobung dauerhaft archiviert und nach einem einjährigen Moratorium im Anschluss an die Landphase der Expedition der wissenschaftlichen Gemeinschaft für weitere Forschungsarbeiten zugänglich gemacht. Alle Daten der Expedition werden frei zugänglich sein und die Ergebnisse werden veröffentlicht.

Die Expedition wird vom European Consortium for Ocean Research Drilling (ECORD) im Rahmen des International Ocean Discovery Program (IODP) durchgeführt. Das IODP ist ein öffentlich finanziertes, von 21 Ländern getragenes internationales Meeresforschungsprogramm, das die in den Sedimenten und Gesteinen des Meeresbodens aufgezeichnete Erdgeschichte und -dynamik erforscht und die Umgebung des Meeresbodens überwacht. Mit Hilfe mehrerer Plattformen - ein einzigartiges Merkmal des IODP - untersuchen Wissenschaftler:innen die tiefe Biosphäre und den Ozean unter dem Meeresboden, Umweltveränderungen, Prozesse und Auswirkungen sowie die Zyklen und die Dynamik der festen Erde.

Der ECORD Science Operator verfügt über große Erfahrung in der Arbeit in sensiblen Ökosystemen wie Korallenriffen, die er auf Expeditionen nach Tahiti (2005) und zum Great Barrier Reef (Australien, 2010) gesammelt hat.

Über das Schiff der Expedition, die MMA VA­LOUR

Um das Ma­te­ri­al zu ge­win­nen, das die Wis­sen­schaft­ler:in­nen in den kom­men­den Jah­ren auswerten wer­den, wird wäh­rend der Ex­pe­di­ti­on auf dem Mehr­zweck­schiff MMA VA­LOUR ein Bohr­ge­rät ein­ge­setzt. Das Gerät wird von ei­nem re­nom­mier­ten Spe­zia­lis­ten der Geo­tech­nik­in­dus­trie be­reit­ge­stellt und be­trie­ben. Es wird auf den Mee­res­bo­den ab­ge­senkt, um bis zu 110 Me­ter lan­ge Bohr­ker­ne aus dem Oze­an­bo­den zu ber­gen.

Die MMA VA­LOUR ist ein viel­sei­ti­ges Mehr­zweck-Ver­sor­gungs­schiff, das MMA Off­shore ge­hört und von MMA Off­shore be­trie­ben wird, ei­nem welt­weit füh­ren­den An­bie­ter von See- und Un­ter­was­ser­dienst­leis­tun­gen. MMA mit Haupt­sitz in Perth, Aus­tra­li­en, en­ga­giert sich für den Schutz der Mee­resöko­sys­te­me der Welt und die Un­ter­stüt­zung wich­ti­ger wis­sen­schaft­li­cher For­schung in die­sem Be­reich.