20.6.16 | Nach einer umfassenden Erneuerung der MAREE (Marine experimentelle Ökologie) durch Silvia Hardenberg und ihr Team können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) die Auswirkungen der globalen Veränderungen auf Meeresorganismen noch eingehender erforschen.

Unter Leitung von Prof. Dr. Justin Ries von der Northeastern University in Boston (USA) untersucht ein Forscherteam mit Doktorandin Louise Cameron und ZMT-Postdoc Claire Reymond derzeit die Auswirkungen der Ozeanversauerung und -erwärmung auf Korallen sowohl aus tropischen als auch subpolaren Gewässern. Im Interview erläutert Prof. Ries die Studie, bei der es sich um eine Kooperation zwischen dem ZMT, der Northeastern University, dem Alfred-Wegener-Institut (AWI), dem Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie (MPI) und dem GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel handelt.

Was ist das Ziel der neuen Studie in der MAREE?
Justin Ries: Wir wollen herausfinden, wie Korallen auf zukünftige Versauerung und Erwärmung der Ozeane reagieren werden. Während der CO2-Gehalt in der Atmosphäre steigt, sinkt der pH-Wert des Meerwassers und es wird saurer. Für einige Meeresorganismen wird es damit schwieriger, ihre Kalkschalen und -skelette zu bilden. In unserem Experiment untersuchen wir die Reaktionen verschiedener Korallenarten auf die Versauerung und Erwärmung, die für die kommenden 400 bis 500 Jahre vorhergesagt werden. Im Labor simulieren wir Zukunftsbedingungen und züchten in diesen Umweltverhältnissen Korallen über einen Zeitraum von 60 bis 90 Tagen. Während dieser Zeit messen wir die Veränderungsrate ihrer Skelettbildung in Relation zu den Umweltbedingungen.

Sind Auswirkungen der Ozeanversauerung immer negativ für Meeresorganismen?
Justin Ries: Viele Organismen zeigen eine negative Reaktion, aber einige zeigen eine parabolische Reaktion, bei der ein leichter Anstieg der Säure dem Organismus tatsächlich hilft zu wachsen. So sind beispielsweise einige Arten von Krustentieren infolge von Versauerung schneller gewachsen. Es ist also nicht einfach anorganische Chemie, die den Prozess der Schalenbildung steuert. Die meisten Organismen bilden eine Schale oder ein Skelett aus einer Flüssigkeit in einer teilweise oder vollständig isolierten Kammer – ihre sogenannte kalzifizierende Flüssigkeit. Eine wichtige Frage ist, wie kalkbildende Meeresorganismen in der Lage sind, Änderungen des pH-Wertes dieser Flüssigkeit inmitten der Versauerung ihres umgebenden Meerwassers zu mildern oder zu hemmen. Krustentiere scheinen eine sehr starke Kontrolle über diese Flüssigkeit auszuüben, wahrscheinlich, weil sie ihr Exoskelett abwerfen und es innerhalb von Stunden nachwachsen lassen müssen – sonst werden sie gefressen. Es ist daher sinnvoll, dass sie eher in der Lage sind, die Auswirkungen der Versauerung zu kompensieren als ein Organismus, der langsamer wächst, wie Korallen, und vergleichsweise weniger Kontrolle über den pH-Wert seiner kalzifizierenden Flüssigkeit hat.

Wie messen Sie die Reaktion der marinen Kalkbildner auf die Versauerung der Ozeane?
Justin Ries: Wir messen den pH-Wert der kalzifizierenden Flüssigkeit bei Korallen mit pH-Mikroelektroden und auch durch die Untersuchung der Bor-Isotopen-Zusammensetzung ihres Kalkskeletts. Bor-Isotope sind ein natürlicher Bestandteil von Meerwasser und sind empfindlich gegenüber Veränderungen des pH-Werts im Meerwasser. Da Korallen wahrscheinlich Meerwasser in ihre kalzifizierende Flüssigkeit einlassen, sollte eine Erhöhung des pH-Wertes dieser Flüssigkeit in den verschiedenen Formen oder Isotopen von Bor zu finden sein, die in ihrem Skelett eingeschlossen sind. Die Isotop-Untersuchung wird in Kooperation mit dem AWI und die Mikroelektroden-Untersuchung in Kooperation mit dem MPI ausgeführt.

Welche Ergebnisse erwarten Sie?
Justin Ries: Wir testen die Hypothese, dass Organismen mit einer stärkeren Kontrolle über den pH-Wert der kalzifizierenden Flüssigkeit widerstandsfähiger gegen Versauerung sind. So erwarten wir, dass die Korallen, die fähig sind, ihre Wachstumsraten unter höheren CO2-Bedingungen aufrechtzuerhalten, stärkere Kontrolle über den pH-Wert an der Stelle ihrer Kalzifizierung haben. Wenn wir den genauen Verlauf besser verstehen, über den Korallen von Ozeanversauerung betroffen sind, können wir vorhersagen, welche Arten am meisten gefährdet sein werden.

Warum ist die MAREE jetzt besser geeignet für solche Studien?
Justin Ries: mit dem phantastischen Mitarbeiterteam der MAREE – Silvia Hardenberg, Nico Steinel und Christian Brandt – arbeiteten wir daran, die MAREE als modernes experimentelles Ozeanversauerungssystem zu etablieren. Wir änderten die großen Multi-Spezies-Mesokosmen in eine kontrollierten und genau nachgebildete 48-Tank-Versuchsanordnung, die es uns ermöglicht, die unabhängigen und kombinierten Auswirkungen der Erwärmung und Versauerung auf Meeresorganismen zu untersuchen. Wir entwarfen und bauten ein Durchfluss-Meerwassersystem, so dass das System kontinuierlich mit natürlichem Meerwasser erneuert wird, was für die meisten Isotopenuntersuchungen entscheidend ist. Wir entwickelten auch ein Niedrigtemperatur–Versauerungssystem, um die Reaktionen von Kaltwasserkorallenarten zu beobachten. Es ist kein einfaches Unterfangen, sowohl ein tropisches als auch ein Kaltwasser-Meeresversauerungssystem im selben Raum zu haben. Aber jetzt können ZMT-Wissenschaftler in der MAREE die Auswirkungen der Meereserwärmung und der Versauerung an fast jedem benthischen Meeresorganismus auf dem Planeten untersuchen – vom Äquator bis zu den Polen.

Prof. Dr. Justin B. Ries kommt von der Abteilung für Meeres- und Umweltwissenschaften am Marine Science Center, Northeastern University, Boston, USA. Er hat derzeit ein Stipendium am Hanse-Wissenschaftskolleg in Delmenhorst in Kooperation mit dem ZMT, AWI und MPI. Er ist von Dezember 2015 bis August 2016 Gastwissenschaftler am ZMT.