21.06.2023 | Es wurde gejubelt. Es flossen Freudentränen. Als sich Vertreterinnen der Vereinten Nationen in New York auf einen Abkommen zum Schutz der Meere einigten, sprach UN-Generalsekretär Antonio Guterres von „einem historischen Erfolg“. Dem Abkommen – im Englischen kurz BBNJ (Biodiversity Beyond National Jurisdiction) – waren Jahre zäher Verhandlungen vorausgegangen. Im März gab es endlich den Durchbruch und jetzt wurde der Pakt in der UN-Vollversammlung angenommen. Prof. Dr. Raimund Bleischwitz, wissenschaftlicher Geschäftsführer des ZMT hält die Vereinbarung für „einen Meilenstein in der globalen Meerespolitik und essentiell für den Erhalt der biologischen Vielfalt in den Ozeanen.“ Im Interview erklärt der Nachhaltigkeitsforscher die wichtigen Punkte des Abkommens, welche Schritte nun folgen müssen und wie das ZMT zum Abkommen beiträgt.

Prof. Dr. Raimund Bleischwitz

 

Kurz zusammengefasst – was beinhaltet das Abkommen?

Raimund Bleischwitz: Bislang war von den zwei Dritteln der Ozeane, die als ‚Hohe See‘ außerhalb der staatlichen Nutzungszonen liegen, nur 1,2% geschützt – etwas mehr, wenn man die Küstengewässer und die Ausschließlichen Wirtschaftszonen (EEZs, 200 Meilen Zone) der Küstenländer hinzuzieht. Jetzt sollen 30% bis 2030 als Meeresschutzzonen ausgewiesen werden. Das ist beachtlich. Ein gesunder Ozean ist für das Überleben unzähliger Arten und uns Menschen zentral. Denn der Ozean produziert als ‚Blaue Lunge‘ unseres Planeten Sauerstoff und speichert etwa ein Drittel der Kohlenstoff-Treibhausgase. Die Ozeane sind unser Verbündeter im Kampf gegen die Klimakrise und gegen die Zerstörung der Natur.

 

Welche Punkte sind aus Sicht der Meeresforschung am ZMT besonders hervorzuheben?

Bleischwitz: Das BBNJ-Abkommen klärt die faire Nutzenverteilung zugunsten von Küstengemeinschaften und Ländern des Globalen Südens. Das heißt, es gibt Regelungen gegen etwaige Biopiraterie für genetische Ressourcen und digitale Sequenzierung und zugunsten der Ozeane als gemeinsames Erbe der Menschheit.

Drei Punkte sind dabei besonders wichtig.

Erstens: Das BBNJ regelt das Verfahren zur Ausweisung von Meereschutzgebieten (MPAs) und von Meeresraumplanung – im Englischen Marine Spatial Planning (MSP) und wird Management-Tools zur Verfügung stellen, damit die 23 Ziele des Kunming-Montreal-Abkommen (Weltnaturvertrag) vom Dezember umgesetzt werden können. So greifen diese Abkommen in einander und stehen nicht isoliert. Zweitens: Das BBNJ regelt Umweltverträglichkeitsprüfungen für (neue) Meeresnutzung (z.B. Bergbau) und – erstmalig – einen rechtlichen Rahmen zur Abschätzung der Risiken, die sich aus Verschmutzung, Versauerung und Erwärmung der Ozeane ergeben. Das beflügelt alle Arbeiten zum Ozean-Klima-Nexus.

Und drittens?

Bleischwitz: Das UN-Hochseeschutzabkommen wird in einen institutionellen Rahmen gebettet. Das heißt, es wird unterstützt durch die Conference of the Parties (CoP), das UN-Sekretariat und wird im Zuge dessen auch technische Unterstützung erhalten – ähnlich wie das Klimaabkommen – mit Anforderungen an Technologietransfer und Kapazitätsaufbau bzw. -entwicklung.

 

Was müssen jetzt die nächsten Schritte sein?

Bleischwitz: Nötig sind jetzt zum einen eine zügige Unterzeichnung und Ratifizierung, die die Bundesregierung für Deutschland via Bundesumweltministerin Steffi Lemke zugesagt hat, und zum anderen der Aufbau geeigneter Lernplattformen, damit alle Akteure aus Industrie, Küstengemeinschaften und in Ländern des Globalen Südens die Ziele auch umsetzen können. Insbesondere letzteres halte ich für extrem wichtig, denn in der Forschung generiertes Wissen muss in die Praxis gelangen und sollte wiederum Impulse zurückgeben.

 

Wie kann das ZMT dazu beitragen?

Bleischwitz: Am ZMT gibt es eine große Reihe an Themen, an denen unsere Forschenden arbeiten, und die für die Umsetzung des Meeresschutzabkommens eine Rolle spielen. Im Folgenden nenne ich nur einige Beispiele: Wir liefern Analysen zu nachhaltiger Fischerei, Aquakultur, Tourismus und der Rolle von MPAs. Unsere Wissenschaftler:innen verfügen über außerordentlich fundierte, über Jahrzehnte erarbeitete Expertise zur essentiellen Rolle von Küstenökosystemen und forschen zu Lösungen wie die Aufforstung von Mangroven oder Restaurierung von Korallenriffen. Am ZMT wird die Interaktion von Ozean und Klima, etwa durch Modellierung von Wetterextremen, betrachtet. Wir forschen zu den Folgen kritischer Einträge wie Nährstoffe oder Plastik in Küstengewässer und Sedimente. Aber auch Themen wie Goverance, Blue Economy, sozial-ökologische Prozesse und Datenwissenschaft sind bei uns angesiedelt. UND: Wir engagieren uns stark in der Kapazitätsentwicklung, bieten vielfältige Trainings an und verfügen über starke Partnerschaften in Deutschland und insbesondere in Ländern der Tropen.

Es hat 15 Jahre gebraucht, bis sich die UN-Vollversammlung auf das BBNJ-Abkommen einigen konnte. Woran lag es?

Bleischwitz: Strittig war die Grundsatzfrage, ob es um die ‚Freiheit der Meere‘ – die Position der USA, Großbritanniens, Russlands – oder ein ‚Gemeinsames Erbe der Menschheit‘ gehen würde. Des Weiteren konnte man sich nicht einigen, ob und wie die Fischereiwirtschaft einbezogen werden sollte; u.a. Island und Russland hatten sich dagegen ausgesprochen.

Anfang 2022 erst hatte sich im französischen Brest eine aus insgesamt 50 Ländern inklusive Deutschlands und der Europäischen Union bestehende ‚Koalition der Ambitionierten‘ gegründet, um das Abkommen über die Ziellinie zu bringen. Die USA haben sich Anfang 2023 angeschlossen. Das war der entscheidende Kick Hervorzuheben ist aber auch die letztlich konstruktive Rolle von China, das ja bereits mit den ‚Kunming/Montreal-Zielen‘ einer 30%igen Ausweisung von Naturschutzgebieten bis 2030 eine Vorreiterrolle eingenommen hat, und auch mit Gruppen wie G77 sich für eine Anerkennung von Forschungsergebnissen und das Common Heritage of Mankind Prinzip ausgesprochen hatte. Zudem gab es eine Gruppe lateinamerikanischer Länder (CLAM), die sehr konstruktiv und engagiert waren.

 

Was könnte vor dem Hintergrund solch langwieriger Verhandlungen jetzt bei der Umsetzung des Abkommens problematisch werden?

Bleischwitz: Ich tendiere dazu, positiv in die Zukunft zu schauen und freue mich erstmal darüber, dass die Ozeane auf internationaler Ebene so eine breitgefächerte Unterstützung erhalten haben. Das ist auch in Anbetracht der UN-Ozeandekade und der Nachhaltigkeitsziele ein großer Erfolg. Natürlich darf man nicht naiv sein. Wir befinden uns derzeit in einer schwierigen geopolitischen Lage, die eine Zusammenarbeit nicht immer einfach machen wird. Das Thema des Monitorings, also wer passt auf, dass Meeresschutzzonen auch eingehalten werden, was sind die Strafen, wenn in solchen Zonen entgegen der Gesetze gefischt wird, uvm. gilt es noch zu regeln.  Satellitendaten oder Datenauswertung über Drohnen werden hierbei sicherlich hilfreich sein; letztlich also Datenanalysen und der Aufbau von Netzwerken und Partnerschaften wie wir sie am ZMT betreiben.