Citizen Science-Projekt zum Seegras-Monitoring in China (Foto: Erhui Feng)

02.05.2022 | In einer neuen Publikation im Journal of Environmental Management untersucht ein internationales Autorenkollektiv erfolgreiche Beispiele des Wissensaustausches zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Von seiten des ZMT trugen Tim Jennerjahn und Jialin Zhang mit dem TICAS - Projekt sowie Paul Tuda mit dem FIDEA-Projekt zur Metastudie bei. Hier ein Interview mit ihnen und Rebecca Lahl vom Büro für Wissensaustausch.

Was war die Ausgangsfrage der Studie?

Tim Jennerjahn: In Zeiten des globalen Wandels und des wachsenden Drucks auf die Umwelt ist eine faktengestützte Entscheidungsfindung erforderlich, die einen interaktiven Wissensaustausch (KE = Knowledge Exchange) zwischen Wissenschaft und Gesellschaft erfordert. Obwohl dieser Sektor wächst, steckt er noch in den Kinderschuhen. In den letzten Jahren wurden zwar zahlreiche Aktivitäten gestartet, aber es ist immer noch unklar, welches die vielversprechendsten Wege und fördernden Faktoren sind.

Was habt ihr genau untersucht?

Tim Jennerjahn: Ziel der Studie war es, den Erfolg des interaktiven Austauschs zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu definieren, zu ermitteln und zu bewerten, um eine fundierte Entscheidungsfindung und ein nachhaltiges Management der Meeresumwelt zu ermöglichen. Die Teilnehmer und Studien umfassten alle Kontinente, alle Ozeane und alle Breitengrade. Die wichtigsten Fragen bezogen sich darauf, welche KE-Ansätze angewandt wurden, welche Ergebnisse erzielt wurden und was den Erfolg der KE begünstigte. Nicht zuletzt haben wir versucht, die Frage zu beantworten, welche Lehren wir aus der Meta-Studie ziehen können, um KE an der Schnittstelle von Meereswissenschaft und -politik zu verbessern.

Was sind die neuen Erkenntnisse?

Tim Jennerjahn: Es gibt "Lichtblicke", Studien, die als Beispiele für eine erfolgreiche KE zwischen Wissenschaft und Entscheidungsfindung dienen. Die Nutzung verschiedener Ansätze, von beratendem Engagement bis hin zu echter Wissens-Koproduktion, führte zu unterschiedlichen Erfolgen an der Schnittstelle von Meereswissenschaft und -politik und hat Auswirkungen auf Politik, Menschen und Governance. Unter den Faktoren, die den Erfolg ermöglichen, sind die Einbeziehung verschiedener Akteure und das Management positiver Beziehungen von zentraler Bedeutung. Das persönliche Engagement der beteiligten Personen wird als Schlüsselfaktor für den Erfolg genannt, was allerdings auch einen deutlichen Mangel an Institutionalisierung und Ressourcen offenlegt.

Was sind Beispiele für erfolgreichen Wissensaustausch mit Entscheidungsträgern?

Jialin Zhang: Das deutsch-chinesische Kooperationsprojekt „Tackling Environmental Change Issues of China's Coastal Aquatic Systems: networking, capacity building and knowledge exchange“ (TICAS), das am ZMT koordiniert wird, wurde für die Studie als eines der erfolgreichen Beispiele ausgewählt. Es hat einen Dialog zwischen Wissenschaftlern und Interessenvertretern in China etabliert und verschiedene Ergebnisse hervorgebracht, wie z.B. ein Citizen Science-Projekt zum Seegras-Monitoring, einen Policy Brief oder Informationsblätter für die Allgemeinheit.

Paul Tuda: Eine weitere erfolgreiche Studie des ZMT, die in der Publikation vorgestellt wird, ist Fishing Data East Africa (FIDEA), ein Partnerschaftsprojekt zwischen dem ZMT und Forschungseinrichtungen in Tansania, Sansibar und Mosambik. Im Rahmen dieses Projekts wurden 30 Fischereiwissenschaftler aus 12 Ländern in der Region des westlichen Indischen Ozeans in der Bestandsabschätzung geschult, und es wurden Partnerschaften aufgebaut, um langfristige Unterstützung bei der Entwicklung geeigneter Fischereidatenmanagementsysteme zu leisten.

Wie wurde der Erfolg solcher Initiativen festgestellt bzw. evaluiert?

Tim Jennerjahn: Alle Studienteilnehmer füllten einen Fragebogen aus, der nach Akteuren, Prozessen, Unterstützung, Kontext und Zeitpunkt in den einzelnen Fallstudien fragte. Die Antworten wurden mit der qualitativen Datenanalysesoftware NVIVO 12 ausgewertet. KE ist ein relativ neues Konzept im Meeresmanagement und daher ist wenig über seinen Erfolg bekannt. Die große Anzahl von Fallstudien in dieser Metastudie erlaubt zum ersten Mal, den Erfolg zu bewerten und begünstigende Faktoren auf einer allgemeineren Ebene zu extrahieren.

Wie kann ein solcher Austausch effektiver gestaltet werden?

Tim Jennerjahn: Wissensaustausch ist immer noch eher ein "Hobby" für Wissenschaftler mit einem Herz für die Umwelt. Er ist noch nicht institutionalisiert, nicht in den Agenden der Forschungs- und Förderorganisationen verankert. Das müssen wir ändern!

Aus der Metastudie haben wir vier wichtige Lehren gezogen. Erstens muss bei der Ausbildung von Wissenschaftlern ein größerer Schwerpunkt auf zwischenmenschliche Fähigkeiten gelegt werden. Zweitens sollten die Aktivitäten zum Wissensaustausch in den Agenden der Forschungsorganisationen verankert und unterstützt werden. Drittens müssen umfassendere Indikatoren für die Bewertung der Auswirkungen von Forschung konzipiert und umgesetzt werden, um den Wissenschaftlern Anreize zu bieten, sich zu engagieren. Und viertens sollten die Fördermechanismen so umgestaltet werden, dass sie sich auf bedarfsorientierte Maßnahmen, die Planung der Auswirkungen und die Anerkennung des Zeit- und Arbeitsaufwands konzentrieren, der für den Wissensaustausch erforderlich ist.

Warum sind die Ergebnisse gesellschaftsrelevant?

Tim Jennerjahn: Es ist ein gemeinsames Ziel von Wissenschaft und Gesellschaft, Forschungsergebnisse bestmöglich für ein nachhaltiges Management der Meere und Küsten rund um den Globus zu nutzen. Daher kommt jeder Schritt, der die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Gesellschaft verbessert, den wertvollen marinen Ökosystemen und den Leistungen, die sie für die Menschheit erbringen, zugute. Der Wissensaustausch kann ein sehr wirksames Instrument sein, um im Rahmen der UN-Dekade der Ozeanwissenschaften „die Forschung zu schaffen, die wir für den Ozean brauchen, den wir wollen“, und um die Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen.

Jialin Zhang: Als jemand, der an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Gesellschaft oder als so genannter „Wissensvermittler" arbeitet, freue ich mich sehr über die Arbeit, die in dieser Publikation gezeigt wird. Denn die meisten neuen Informationen in diesem Bereich sind entweder theoretischer Natur oder basieren auf einzelnen Fallstudien und sind sehr kontextspezifisch. Diese Studie kann wirklich dazu beitragen, die Prozesse des Wissensaustauschs in Zukunft zu verbessern.

Rebecca Lahl: Das ZMT hat den Wissensaustausch zu einem elementaren Bestandteil seines Forschungsprozesses und seiner Gesamtstrategie gemacht. Seit seiner Gründung im Jahr 2014 hat das Office for Knowledge Exchange (OKE) eine Reihe von Instrumenten entwickelt und gute Praxisbeispiele für den Wissensaustausch gesammelt, um die Mitarbeiter des ZMT anzuleiten und unsere Forschungspartnerschaften zu unterstützen. Ich freue mich sehr über diese Veröffentlichung, weil sie unsere tägliche Arbeit und unsere Wirkung über die akademische Welt hinaus verbessern wird. Sie unterstreicht auch die Notwendigkeit, die Art und Weise, wie Erfolg in der Wissenschaft gemessen und finanziert wird, zu verändern.

Publication

Karcher, D.B., C. Cvitanovic, I.E. van Putten, R.M. Colvin, D. Armitage, S. Aswani Canela, M. Ballesteros, N.C. Ban, M.J. Barragán, A. Bednarek, J.D. Bell, C. Brooks, T.M. Daw, R. de la Cruz Modino, T.B. Francis, E.A. Fulton, A. Hobday, D. Holcer, C. Hudson, T.C. Jennerjahn, A. Kinney, M. Knol-Kauffman, M.F. Löf, P.F.M. Lopes, P. Mackelworth, A. McQuatters-Gollop, E.-K. Muhl, P. Neihapi, J. Pascual-Fernández, S. Posner, H. Runhaar, K. Sainsbury, G. Sander, D.J. Steenbergen, P.M. Tuda, L. Whiteman, J. Zhang (2022). Advancing knowledge exchange at the interface of marine science and policy: lessons from global bright spots. Journal of Environmental Management 314: 114994. https://doi.org/10.1016/j.jenvman.2022.114994