Korallenriff im Chagos Archipel | Foto: Marleen Stuhr, ZMT

08.02.2022 | Eine neue Studie der Arbeitsgruppe Geoökologie und Karbontasedimentologie am ZMT hat sich mit dem Thema Ökosystem-Design beschäftigt und zum ersten Mal untersucht, welche Möglichkeiten dieses von dem ZMT-Mangrovenökologen Prof. Dr. Martin Zimmer entwickelte Konzept bietet, um zentrale Funktionen tropischer Karbonat-Ablagerungssysteme zu unterstützen. In unserer Interviewreihe "Forschung Kompakt", berichtet Dr. Marleen Stuhr von den Ergebnissen.

Was versteht man unter Ökosystem-Design?

Marleen Stuhr: Das Konzept des Ökosystem-Designs stellt menschlichen Bedarf an bestimmte Ökosystemdienstleistungen in den Vordergrund. Bei der Planung und (Re)-Konstruktion von degradierten Lebensräumen geht es um gezielte Eingriffe, die diese konkreten Bedarfe erfüllen. Das Konzept wurde ursprünglich für Mangrovenökosysteme entwickelt, um eine Alternative zu herkömmlichen Ansätzen des Erhalts oder der Wiederherstellung von Ökosystemen zu bieten, die oft eine geringere Nutzung durch den Menschen vorsehen.

Indem beim Ökosystem-Design menschliche Nutzung gleich mitgedacht und -geplant wird, können Ökosysteme bereits robust ‚designt‘ und damit vor späteren Störungen durch menschliche Nutzung geschützt werden. Zudem werden prognostizierte Folgen des Klimawandels eingeplant, statt Ökosysteme zu rekonstruieren, die unter früheren klimatischen Bedingungen existierten. Das Konzept verbindet Widerstandsfähigkeit mit Nachhaltigkeit und vorausplanender Klimaanpassung und gleicht im Idealfall die Eingriffskosten durch wirtschaftliche Vorteile aus.

Worum geht es in der Studie?

Marleen Stuhr: Es handelt sich bei dem Konzept des Ökosystem-Designs um eine durchaus kontrovers diskutierte Idee. Unsere Publikation weitet diese Diskussion von Mangrovenökosystemen auf Korallenriffe aus, da Korallenriffe und andere tropische Meereslebensräume weltweit stark durch globalen Klimawandel und lokale Umweltverschmutzung gefährdet sind. Die Bildung von Kalkskeletten, z.B. durch Korallen oder Foraminiferen, ist eine grundlegende Voraussetzung für die Entstehung und Stabilität von Riffinseln und Stränden oder für den Küstenschutz. Zudem tragen Korallenriffe und andere marine Lebensräume wie Seegraswiesen oder Kalkalgenhabitate wesentlich zur Nahrungsmittelproduktion, CO2-Sequestrierung und dem Tourismus bei.

In einer konzeptionellen Perspektive skizzieren und diskutieren wir, welche Möglichkeiten Ökosystem-Design bietet, um zentrale Funktionen tropischer Karbonat-Ablagerungssysteme zu unterstützen. Wir wollten herausfinden, ob der Ansatz des Ökosystem-Designs wegweisend zur nachhaltigen Entwicklung tropischer Küsten beitragen kann. Wir hoffen, mit dieser Studie einige Denkanstöße zu geben und aktiv zur Diskussion um Ökosystem-Design und die potentielle Umsetzung des Konzepts in verschiedenen tropischen Küstensystemen beizutragen.

Marleen Stuhr bei Feldarbeit in Eilat STEPHANIE HELBER
Dr. Marleen Stuhr in Eilat | Foto: Stephanie Helber, ZMT

Wie seid Ihr vorgegangen?

Marleen Stuhr: Unsere konzeptionelle Perspektivstudie basiert auf veröffentlichter Literatur. Da es sich bei Ökosystem-Design um einen neuen, innovativen und kontroversen Ansatz handelt, der von Prof. Martin Zimmer, dem Leiter der Mangrovenökologie am ZMT konzeptualisiert und noch nie zuvor für Karbonatablagerungs-Systeme und Riffe angewendet wurde, stützen wir uns zunächst auf eine Synthese der Literatur über Ökosystem-Design in Mangroven. Des Weiteren haben wir Publikationen zu Restaurierung und Erhalt von Karbonatablagerungs-Systemen, insbesondere Korallenriffen, zu unserem Review hinzugezogen.

Was heißt das konkret?

Wir diskutieren die mögliche Anwendung von Ökosystem-Design auf gefährdete, degradierte tropische Korallenriffe und verwandte Lebensräume. Lebensräume aus Kalziumkarbonat, die von Ökosystemingenieuren wie skleraktinischen Korallen, kalzifizierenden Grünalgen und Großforaminiferen gebildet werden, bieten Millionen von Menschen weltweit wertvolle Ökosystemleistungen. Wir konzentrieren uns bei den Leistungen auf den Schutz und Erhalt von Küstenlinien, die Widerstandfähigkeit von Atollinseln gegen Meeresspiegelanstieg, Nahrungsressourcen, Tourismus und Klima.

Mit dem geologischen Blick auf die zeitabhängige Dynamik stützen wir uns auf unser Wissen vergangener Umweltveränderungen wie Meeresspiegelschwankungen bei der Karbonatablagerung. Wir wollen verstehen, wie künftige Anstrengungen im Sinne des Ökosystem-Designs diese Funktionen in zukünftigen Klimawandelszenarien erhalten können.

Zu welchem Fazit kommt die Studie?

Marleen Stuhr: Die sorgfältige Umsetzung von Ansätzen des Ökosystem-Designs in Karbonatablagerungs-Systemen könnte dazu beitragen, dass Atollinseln sich an den Anstieg des Meeresspiegels anpassen könnten oder aber die Erosionsfolgen von Küstenkonstruktionen bewältigt werden können.

Wichtig ist, dass gemäß dem Kerngedanken des Ökosystem-Designs sorgfältige Bewertungen vorgenommen werden, die einen ausgewogenen Ansatz zur Maximierung von Ökosystemleistungen (z.B. Karbonatproduktion) darstellen, dabei aber mögliche Schäden an bestehenden funktionierenden Ökosystemen erkennen und vermeiden.

Welche gesellschaftliche Relevanz hat Ökosystem-Design?

Die nachhaltige Nutzung von Küstenökosystemen und deren Leistungen ist insbesondere angesichts von Klimawandel und Übernutzung essentiell für Millionen von Menschen, die entlang tropischer Küsten leben. Ökosysteme durch konventionelle Maßnahmen zu erhalten, schließt oft die menschliche Nutzung aus, was wiederum schwer damit vereinbar ist, dass Meereslebensräume wie Korallenriffe in der Regel auch die Lebensgrundlage der lokalen Bevölkerung darstellen. Eine Übertragung solcher Ansätze auf weitere Ökosysteme (neben Mangroven oder Karbonatablagerungs-Systemen) könnte also für die Bevölkerung und Entscheidungsträger in tropischen Küstenregionen von großer Bedeutung sein.

Ökosystem-Design wird kontrovers diskutiert – was sagen Kritiker und wie entgegnet Ihr Ihnen?

Marleen Stuhr: Im Kern ist Ökosystem-Design ein wissensbasierter Ansatz für das Management sozio-ökologischer Systeme, bei dem der Schwerpunkt auf dem Erhalt von Ökosystemleistungen liegt, ohne die natürlichen Funktionen des Ökosystems zu gefährden. Eine wichtige Überlegung für eine solchen Ansatz ist daher, welche Leistungen sinnvollerweise aus einem Ökosystem entnommen werden können und ob die derzeitigen Bedürfnisse der Bevölkerung vor Ort weiterhin erfüllt und die Ökosystemfunktionen zugleich beibehalten werden können.

Es liegt auf der Hand, dass ein hohes Maß an Wissen über die Wirkungen und Nebenwirkungen solcher Eingriffe erforderlich ist, verbunden mit ethischen Diskussionen insbesondere über eine etwaige Einführung fremder oder manipulierter Arten. Deshalb muss die Umsetzung von Ökosystem-Design von einer offenen und informierten Diskussion über möglichen Folgeschäden, Leidtragende, Kompromisse und Ethik begleitet werden. Die von uns herausgearbeiteten Wissenslücken müssen geschlossen werden, um fundierte Entscheidungen zu ermöglichen.

Publikation:

Hildegard Westphal, Gary N. Murphy, Steve S. Doo, Thomas Mann, Alexander Petrovic, Christiane Schmidt, Marleen Stuhr (2022) Ecosystem design as an avenue for improving services provided by carbonate producing marine ecosystems; PeerJ 10:e12785