Sansibar | Foto: Hauke Reuter, ZMT

06.02.2024 | In einer neuen Studie stellen Dr. Stefan Partelow und weitere Autoren die Relevanz der Sozialwissenschaften für meeresbezogene Projekte heraus, die die Nachhaltigkeit im Fokus haben. In unserer Reihe "Forschung kompakt" erläutert der Hauptautor die Ergebnisse der Studie und zeigt die fünf Interventionsbereiche auf, in denen die Sozialwissenschaft nach den größten Einfluss auf die Vermeidung von Schäden und die Verbesserung des Nutzens von Projekten haben kann.

Was war die Ausgangsfrage der Studie?

Stefan Partelow: Wie kann die Sozialwissenschaft dazu beitragen, den Schaden zu vermeiden und den Nutzen von Initiativen zur Nachhaltigkeit der Ozeane in Forschung, Entwicklung, Politik und Finanzierung zu verbessern?

Wie wurde bei der Studie vorgegangen?

Stefan Partelow: Wir haben die wissenschaftliche Literatur nach entsprechenden solzialwissenschaftlichen Beiträgen durchsucht und zudem Experten befragt.

Was sind die neuen Erkenntnisse?

Stefan Partelow: Der Anteil der Sozialwissenschaften an allen bekannten meereswissenschaftlichen Veröffentlichungen beträgt nur ~7 %. Das ist sehr wenig und deutet darauf hin, dass die Wissenschaft, wenn sie für die Gestaltung und Umsetzung von Nachhaltigkeitsprojekten im Meer (z. B. In Hinblick auf MPAs, Küstenentwicklung oder Fischereipolitik) eingesetzt wird, wahrscheinlich nicht auf einer strengen sozialwissenschaftlichen Grundlage beruht, obwohl solche Projekte Auswirkungen auf die Menschen und die sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Systeme haben. Dennoch haben die Sozialwissenschaften im Vergleich zu allen anderen Disziplinen den höchsten Anteil an nachhaltigkeitsorientierten Veröffentlichungen.

Darauf aufbauend überprüften wir die Literatur auf sozialwissenschaftliche Beiträge zur Nachhaltigkeit der Ozeane und fassten dann fünf Interventionsbereiche zusammen, in denen die Sozialwissenschaft unserer Meinung nach den größten Einfluss auf die Vermeidung von Schäden und die Verbesserung des Nutzens von Projekten haben kann. Die fünf Bereiche sind: (1) Ethische Entscheidungsfindung, (2) Verbesserung der Regierungsführung, (3) Abstimmung des menschlichen Verhaltens auf Ziele und Werte, (4) Umgang mit den Auswirkungen auf den Menschen und (5) Aufbau transdisziplinärer Partnerschaften und gemeinsame Entwicklung von Wegen zur Nachhaltigkeit.

Welche Schlussfolgerungen können daraus gezogen werden?

Stefan Partelow: Das frühzeitige Einbeziehen von sozialem Wissen aus den fünf Bereichen während der Planungs- und Entwurfsphase von Projekten bietet das größte Potenzial, um Vorteile zu erzielen. Spätere Kooperationen können bestehende Projekte nutzen, um sie zu reflektieren und daraus zu lernen und gleichzeitig die Folgenabschätzung, Transparenz und Berichterstattung für künftige Aktivitäten zu verbessern.

Inter- und transdisziplinäre Forschung, die Wissen aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen und Perspektiven integriert, ist eher geeignet, Schäden zu vermeiden und den Nutzen für Mensch und Natur zu verbessern, insbesondere dann, wenn Projekte ortsbezogenes soziales und ökologisches Wissen berücksichtigen.

Warum sind die Ergebnisse für die Gesellschaft relevant?

Stefan Partelow: Da sich die “Blue Economy“ weltweit weiter ausbreitet, werden Projekte zu Schutz und nachhaltiger Nutzung der Meere, die sich auf Mensch und Natur auswirken, sicherlich mit guten Absichten fortgesetzt. Positive soziale Auswirkungen und Vorteile sind jedoch keine selbstverständlichen oder unvermeidlichen Merkmale dieser Projekte, auch wenn sie dies beabsichtigen. Die direkte Zusammenarbeit mit sozialwissenschaftlichen Experten durch Einstellung, Beratung oder Aktivierung der Kapazitäten von Teams aus dem öffentlichen und privaten Sektor sowie von Nichtregierungsorganisationen ist unerlässlich.

Die größten Vorteile sind dort zu erwarten, wo Erkenntnisse frühzeitig in die Entwurfsphase integriert werden können. Darüber hinaus kann das Einbeziehen von Sozialwissenschaftlern in die Bewertung und Überwachung der Ozeane einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass soziale Anfälligkeiten und Projektauswirkungen frühzeitig erkannt werden und es kann dabei helfen, Agenden zu gestalten, Probleme zu indentifizieren und strategische Leitlinien auf der Grundlage neuer oder vorhandener sozialer Kenntnisse zu entwickeln.

Wie tragen deine Forschungsergebnisse dazu bei, die großen aktuellen Umweltprobleme der Ozeane anzugehen?

Stefan Partelow: Menschen verursachen Umweltprobleme für andere Menschen und für sich selbst. Das Verhalten, die Motivationen und die sozialen Systeme von Menschen an verschiedenen Orten zu verstehen, ist jedoch oft nicht intuitiv oder einfach. Nachhaltigkeitsinitiativen für die Ozeane können nicht auf Intuitionen und Annahmen über das Verhalten und die sozialen Systeme der Menschen beruhen - oder sie ganz vernachlässigen - wenn sie tatsächlich effektiv und wirkungsvoll sein oder zumindest Schaden vermeiden wollen.

Unser Überblick zeigt, wie die Beiträge der empirischen und theoretischen Sozialwissenschaften die Ergebnisse von Initiativen für Mensch und Natur erheblich verbessern können. Die Investitionen in die Zusammenarbeit mit Meeres-Sozialwissenschaftlern und die Anerkennung des Wertes sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse sind entscheidend, um die Zweckmäßigkeit und Machbarkeit von Initiativen zur Nachhaltigkeit im Meer zu verbessern.

Publikation

Partelow, S., Schlüter, A., Ban, N. C., Batterbury, S., Bavinck, M., Bennett, N. J., Bleischwitz, R., Blythe, J., Bogusz, T., Breckwoldt, A., Cinner, J. E., Glaser, M., Govan, H., Gruby, R., Hatje, V., Hornidge, A.-K., Hovelsrud, G. K., Kittinger, J. N., Kluger, L. C., … Villasante, S. (2023). Five social science intervention areas for ocean sustainability initiatives. Npj Ocean Sustainability, 2(1), 24. https://doi.org/10.1038/s44183-023-00032-8