18.12.2025 | Lol Dahlets Studie untersucht die Governance der Pargo-Fischerei (Lutjanus purpureus) – einer exportorientierten Kleinfischerei mit Zentrum in Bragança, Pará, im Norden Brasiliens. Sie wollte herausfinden, wie sich die Beteiligung (oder Nichtbeteiligung) der Fischer an formalen Entscheidungsprozessen auf Ergebnisse in Bezug auf Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit auswirkt. Die Sozialwissenschaftlerin aus der Arbeitsgruppe Social-ökologiosche Systemanalyse erhielt ihren Doktortitel 2025 am ZMT und an der Universität Bremen.
Was war die Ausgangsfrage der Studie?
In dieser Studie wollte ich herausfinden, wie sich der Mangel an Beteiligung Kleinfischer an formalen Entscheidungsprozessen auf Managementergebnisse in der Pargo-Fischerei vor der Küste Nordbrasiliens auswirkt. Die im Bundesstaat Pará angesiedelte Fischerei des Pargo (Lutjanus purpureus) war dafür eine besonders geeignete Fallstudie. Sie ist im Vergleich zu anderen Fischereien in der Region stark reguliert, dennoch zeigt die Forschung, dass der Bestand derzeit überfischt ist. Die Fischerei wird zudem von internationalen Märkten beeinflusst; Schätzungen zufolge werden 70 bis 75 Prozent der Produktion in die Vereinigten Staaten exportiert. Dennoch sind Fischer (die in der Regel mit einer neunköpfigen Crew an Bord der Fischereifahrzeuge arbeiten) nicht vertreten im wichtigsten Managementausschuss wie etwa dem Ständigen Managementausschuss für Fischerei und nachhaltige Nutzung demersaler Fischressourcen der Nord- und Nordostregionen ( Comitê Permanente de Gestão da Pesca e do Uso Sustentável dos Recursos Pesqueiros Demersais das Regiões Norte e Nordeste).
Wie war das Vorgehen der Studie? Was genau haben Sie untersucht?
Um dies zu untersuchen, analysierte und verglich ich die Wahrnehmungen der Akteure, die formal an Entscheidungsprozessen beteiligt sind (öffentliche Behörden, zivilgesellschaftliche Organisationen und Wissenschaft), mit jenen, die de facto von der Entscheidungsfindung ausgeschlossen sind (Fischer). Insgesamt führte ich 18 halbstrukturierte Interviews durch, darunter drei partizipative Netzwerkkartierungen. Außerdem betrieb ich teilnehmende Beobachtung an Pargo-Anlandeplätzen in der Gemeinde Bragança, dem wichtigsten Pargo-Produzenten, sowie bei zwei Sitzungen des wichtigsten Managementausschusses.
Was sind die neuen Erkenntnisse?
Ich identifizierte drei zentrale Narrative über den Zustand der Pargo-Fischerei und die wichtigsten Managementprioritäten. Ein erster narrativer Strang, den ich „Einheit in der Krise: sinkende Fischbestände, eine Herausforderung für alle“ nannte, umfasste die Wahrnehmungen öffentlicher Behörden, zivilgesellschaftlicher Organisationen und Mitglieder der Wissenschaft, die alle eine Stimme im wichtigsten Managementausschuss haben. Nach Ansicht dieser Interviewpartner sei die Pargo-Population unmittelbar von der Überschreitung biologischer Grenzen bedroht. Die Gesundheit des Fischbestands wurde als zentrales Anliegen des Managements dargestellt, da ein Ausbleiben der Fische das Ende der Fischerei für alle bedeuten würde. Der Fokus auf ökologische Nachhaltigkeit wurde jedoch auch als politisch neutrales Terrain genutzt, um heiklere Debatten zu umgehen, etwa über den Betrieb unregulierter Schiffe in der Fischerei.
Ein zweiter narrativer Strang, den ich „Sinkende Fanganteile, nicht Biomasse: Aushandlung von offenem Zugang“ nannte, wurde von Vertreter:innen und Interviewpartner:innen aus der Fischereiindustrie, von Schiffseignern und aus der Wissenschaft geteilt. Die Pargo-Fischerei wurde primär in Bezug auf ihre Produktionsmengen dargestellt und insgesamt als in gutem Zustand beschrieben. Die zentrale Bedrohung für die Nachhaltigkeit der Fischerei wurde in der Überkapazität hinsichtlich der Anzahl der operierenden Schiffe gesehen.
Ein dritter narrativer Strang mit dem Titel „Zum Schweigen gebrachte Knappheiten: Knappheit für einige, Überfluss für andere“ umfasste die Wahrnehmungen aller interviewten Fischer sowie eines Vertreters öffentlicher Behörden. Während die Befragten dieses Narrativs berichteten, dass es immer schwieriger werde, Pargo zu fangen, standen für die Fischer schlechte Arbeitsrechte, mangelnder Zugang zu sozialen Sicherungssystemen und Ernährungsunsicherheit im Mittelpunkt. In ihren Interviews legten die Fischer außerdem dar, wie internationale Marktanforderungen lokale Fischereipraktiken direkt beeinflussen. So hängt die Bezahlung der Fischer vom internationalen Exportwert der gefangenen Fische ab; die auf dem internationalen Markt wertvollsten Exemplare sind typischerweise etwa 30 cm lang, wiegen zwischen 600 Gramm und 1 Kilogramm und sind leuchtend rot.
Welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus ziehen?
Die Ergebnisse zeigen, dass verschiedene Akteure Probleme im Zusammenhang mit Ressourcennutzung und Ressourcenknappheit unterschiedlich identifizieren, formulieren und konstruieren. Diese diskursiven Konstruktionen sind weder politisch neutral noch hermetisch gegenüber einander oder den breiteren Governance-Strukturen und -Prozessen. Jedes Narrativ verdeutlicht, dass die Art und Weise, wie fischereibezogene Probleme und Herausforderungen dargestellt werden, die Art der entwickelten Lösungen beeinflusst sowie darüber entscheidet, wer profitiert und wer ausgeschlossen wird.
Der Managementausschuss spiegelt hauptsächlich die ersten beiden Narrative wider und schließt damit das Wissen der Fischer und zentrale Anliegen sozialer Gerechtigkeit aus. Das Wissen und die Erfahrungen der Fischer hinsichtlich der Ursachen der Überfischung sowie der dringenden Herausforderungen im Zusammenhang mit menschenwürdiger Arbeit, sozialer Absicherung und Ernährungssicherheit bleiben somit unberücksichtigt. Globale Marktdrücke belasten Fischer unverhältnismäßig stark, da starre internationale Marktanforderungen mit lokalen sozialen und ökologischen Realitäten kollidieren.
Die Studie empfiehlt daher, die Vertretung der Fischer und eine ausgewogene Beteiligung in der formalen Verwaltung der Pargo-Fischerei sicherzustellen. Der Managementausschuss sollte seine Sitzungen so organisieren, dass sie der Verfügbarkeit von Fischervertretern in Bezug auf Termine, Zeiten und Formate Rechnung tragen. Zudem empfiehlt die Studie die Einrichtung einer beratenden Struktur, die mit dem Managementausschuss verbunden ist und Vertreter handwerklicher Fischer einbezieht. Diese Struktur würde Indikatoren, Methoden und Bewertungsansätze entwickeln, die soziale Gerechtigkeit in der Pargo-Fischerei und ihren Governance-Prozessen fördern.
Welche Auswirkungen könnte dies auf das Ökosystem, Menschen, Tiere usw. haben?
Die Auswirkungen des derzeitigen Governance-Ansatzes und der Ausbeutungsmuster in der Pargo-Fischerei im Norden Brasiliens gehen über den Zustand des Fischbestands hinaus und betreffen die Lebensgrundlagen der Fischer sowie das Küsten- und Meeresökosystem. Sinkende Fänge, schlechte Arbeitsbedingungen und eingeschränkter Zugang zu sozialen Sicherungssystemen schaffen wirtschaftliche Unsicherheit und Ernährungsunsicherheit für Fischer und machen sie anfälliger für ökologische und marktbedingte Schwankungen. Der Druck, Exportstandards zu erfüllen, begünstigt Praktiken, die die ökologische Nachhaltigkeit gefährden, etwa das Fangen von Fischen, bevor sie ihre Geschlechtsreife erreichen. Zusammen mit den zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels stellen diese Dynamiken eine zusätzliche Belastung für Fischereiarbeiter dar, die an vorderster Front ökologischer sowie sozioökonomischer Verwundbarkeiten stehen.
Dies verdeutlicht die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels im Fischereimanagement. Nachhaltige Fischereien zu erreichen erfordert die Anerkennung, dass ökologische und wirtschaftliche Nachhaltigkeit eng mit sozialer Gerechtigkeit verknüpft sind, und diese Erkenntnis in der formalen Fischereigovernance entschiedener zu verankern.
Warum sollte sich die breite Öffentlichkeit für diese Ergebnisse interessieren?
In einer zunehmend globalisierten Welt ist es nicht ungewöhnlich, dass Fisch um die halbe Welt reist, bevor er auf den Tellern der Verbraucher landet. Hinter dieser Proteinquelle stehen komplexe Prozesse und Auseinandersetzungen um den Zugang zu Fischereiressourcen und deren Nutzen, die zu offenen Konflikten führen können oder auch nicht. Fischereiarbeiter tragen häufig die Hauptlast der Kosten ungleicher Fischereien und Governance-Systeme, während kapitalintensive Fang- und Verarbeitungsunternehmen die Gewinne abschöpfen. Das Verständnis dieser Dynamiken ermöglicht es, alltägliche Konsumentscheidungen mit breiteren Fragen sozialer Gerechtigkeit, menschenwürdiger Lebensgrundlagen und ökologischer Nachhaltigkeit zu verknüpfen und zu hinterfragen, wie nachhaltigere Alternativen möglicherweise erreicht werden könnten.
Publikation:
Dahlet, Lol. 2025. Equitable participation as a key mechanism towards sustainable fisheries management: a case study of the pargo (Lutjanus purpureus) fishery governance in northern Brazil. Ocean & Coastal Management 270: 107914. https://doi.org/10.1016/j.ocecoaman.2025.107914
Referenzen:
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